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Quantencomputing Ex-Bahnvorständin Sabina Jeschke gründet Start-up

Sabina Jeschke auf einer Digitalkonferenz im Herbst 2021
Sabina Jeschke auf einer Digitalkonferenz im Herbst 2021
© IMAGO / STAR-MEDIA
Sabina Jeschke war oberste Digitalstrategin der Deutschen Bahn. 2021 schmiss sie überraschend hin, um selbst zu gründen. Mit ihrem Start-up will sie Unternehmen fit für das Quantenzeitalter machen

Sabina Jeschke liebt technologisch komplexe Probleme. Als ehemalige Digital- und Technikvorständin der Deutschen Bahn hat sie mehr als drei Jahre versucht, den trägen Staatskonzern von innen zu modernisieren. Ihr vorzeitiger Abschied aus dem Bahntower im vergangenen Mai hat daher viele überrascht. Sie wolle sich „künftig stärker in die Start-up-Szene […] und in Hightech-Entwicklungen einbringen“, hieß es damals aus der Konzernkommunikation. Dann war es monatelang still um die Topmanagerin.

Jetzt zeichnet sich ab, wohin die Reise gehen soll: Die Ex-Vorständin hat im Dezember zusammen mit drei Mitstreitern das Unternehmen Quantagonia gegründet. Am heutigen Dienstag wird das Quantencomputing-Start-up seine erste Finanzierungsrunde bekannt geben, wie Capital vorab erfuhr.

Algorithmen-Übersetzer für Quantencomputing

Quantagonia will Firmen beim Einstieg ins Quantencomputing helfen. „Die Programmcodes und Simulationen, die Unternehmen heute nutzen, sind mit Quantencomputern nicht kompatibel. Sie müssen sie entweder neu schreiben oder übersetzen – und genau da setzen wir an“, erklärt Jeschke im Gespräch mit Capital. Konkret arbeite das Start-up an einem Algorithmen-Übersetzer, der die bestehenden Programmzeilen so optimiere, dass sie für Quantencomputer lesbar würden.

Nach heutigem Kenntnisstand werden Quantencomputer den klassischen PC nicht ersetzen – ihr Einsatzort wird vermutlich auf bestimmte spezialisierte Aufgabenbereiche begrenzt sein. „In den Rechenzentren wird es wahrscheinlich eine Mischung verschiedener Hardware geben“, erwartet Jeschke. Daher sei die Übersetzung zwischen den Systemen langfristig relevant. Zusätzlich zu der Übersetzungssoftware will Quantagonia auch Beratungsleistungen zu Quantum-Projekten anbieten.

Quantencomputing als Sprunginnovation

Quantencomputer sollen Probleme in Höchstgeschwindigkeit lösen können, für die selbst die größten Supercomputer lange Zeiträume brauchen oder an denen sie ganz scheitern. Jeschke nennt als Beispiel die Taktung der Bahn im deutschen Regional- und Fernverkehr. „Bei einer Störung könnte man innerhalb von zwei Minuten den gesamten Fahrplan nachoptimieren, um Verspätungen zu reduzieren. Mit klassischen High-Performance-Computern würde eine hinreichend präzise Neuberechnung hingegen Tage dauern.“

Die Idee, mithilfe der Gesetze der Quantenphysik neuartige Computer zu bauen, ist schon ein paar Jahrzehnte alt. Die praktische Umsetzung aber kam lange nicht vom Fleck, erst seit einigen Jahren gibt es wichtige Fortschritte. Jeschke rechnet mit dem großen Durchbruch der Technologie bis 2025. In der Wirtschaft wecken die Maschinen schon heute große Hoffnungen: auf Milliardeneinsparungen in Logistik und Finanzwesen, die Entdeckung neuer Medikamente, die Entwicklung ungleich leistungsfähigerer Batterien. „Quantencomputing wird eine der zentralen Zukunftstechnologien sein“, ist sich Jeschke sicher.

Finanzierung von Fraunhofer-Fonds

Für die Übersetzungssoftware hat das knapp zwei Monate alte Start-up bereits erste Investoren gewonnen. An einer ersten Pre-Seed-Finanzierung beteiligten sich der Fraunhofer Technologie-Transfer Fonds (FTTF) und der finnische Geldgeber Voima Ventures. Die Technologie von Quantagonia werde es Firmen ermöglichen, „auf komfortable, kosteneffiziente und extrem leistungsfähige Weise in das Quantenzeitalter einzusteigen“, kommentiert FTTF-Geschäftsführer Jörg Wamser das Investment. Als dritter Geldgeber soll sich auch ein nicht näher genanntes Family Office beteiligt haben. Zur Finanzierungssumme wollte sich das Start-up nicht äußern.

Bei der Entwicklung steht Quantagonia noch ganz am Anfang. Das Start-up hat nach eigenen Angaben zehn Mitarbeiter in Deutschland, Schweden und den USA. Zum Gründungsteam zählen neben Sabine Jeschke der Seriengründer Dirk Zechiel, der Betriebswirt Philipp Hannemann sowie der Mathematiker Sebastian Pokutta, der als Professor für Machine Learning und Optimierung an der TU Berlin lehrt.

Kunden hat das gut zwei Monate alte Unternehmen noch keine. Momentan sei man noch in Gesprächen für eine Erprobungsphase mit realen Daten. Man spreche vor allem mit Firmen aus dem Transportsektor sowie aus der Chemie- und Pharmaindustrie. Die Deutsche Bahn sei aus Compliance-Gründen nicht unter den Kooperationspartnern.

Zu wenig Gestaltungsraum bei Deutscher Bahn

Im Gespräch mit Capital betonte Jeschke, dass sie sich von ihrem alten Arbeitgeber im Guten getrennt habe. „In einem großen Konzern geht es vor allem darum, bestehende Technologien zu kennen und sie an der richtigen Stelle einzuführen. Ich war in meiner Position bei der Deutschen Bahn mehr Chefin im Roll-out als Cheftechnologin. Meine Stärken liegen aber in der Entwicklung radikal neuer Technologien. Deshalb habe ich mich entschieden, den Weg in die Start-up-Szene zu gehen.“

Die promovierte Physikerin war von November 2017 bis Mai 2021 Vorstand für Digitalisierung und Technik bei der Deutschen Bahn. Ihr Vertrag lief eigentlich noch bis 2025. Vor ihrer Amtszeit arbeitete Jeschke als Informatikprofessorin an der RWTH Aachen. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehörten die Themen Verkehr und Mobilität, Internet of Things, Robotik und Automatisierungstechnik sowie Künstliche Intelligenz.

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